„The Chosen“ ist die erste Serien-Verfilmung über das Leben von Jesus – und spaltet die Meinungen. Die einen loben „The Chosen“ als unterhaltsam und packend, die anderen kritisieren die Serie als klischeehaft und naiv. Das Crowdfunding-Projekt hat mittlerweile sieben Staffeln. Die dritte Staffel ist ab 27. Oktober 2023 auch auf Deutsch verfügbar. Pfarrer und Serienfan Dr. Holger Pyka schreibt in einem Gastbeitrag für ekir.de, was er von der Serien-Verfilmung hält:
Zugegeben: „The Chosen“ hat es bei mir zunächst nicht ganz leicht bei mir gehabt, weil mich die aggressive Plakatwerbung nervt. Aber das Intro und der Beginn packen mich dann doch: Musik, die ein bisschen an „True Blood“ in langsamer erinnert, und stilisierte türkise Fische, die gegen den grauen Strom schwimmen. Der Anfang ist auch deswegen spannend, weil er Kameraeinstellungen bietet, die ich aus anderen Serien kenne, aber nicht aus Bibelverfilmungen: Ein Mann interviewt nach dem Tod Jesu die, die noch übrig sind. Sie erinnern sich, und das sind schon bewegende Szenen irgendwie.
Ist „The Chosen“ vielleicht auch was fürs Wochenende?
Das erzählerische Mittel, die Kameraführung, Beleuchtung – all das erinnert mich an „normale“ Serien, in denen ich mich am Wochenende verlieren kann, und lässt mich hoffen, dass „The Chosen“ auch etwas fürs Wochenende sein könnte. Diese Hoffnung hat sich dann aber auch relativ schnell erledigt. Die Bildsprache kehrt bald wieder zurück zur Ästhetik klassischer Bibelverfilmungen. Das liegt auch an den Filmkulissen der Mormonen in Utah, die das Produktionsteam nutzen durfte, und die halt aussehen wie ein sehr, sehr teures Krippenspiel.
Alles andere, als aus der Luft gegriffen
Aber zurück zur Geschichte. Johannes, der Zebedaide, will ein Evangelium schreiben. Zwar weist man ihn darauf hin, dass Matthäus bereits eins geschrieben habe, aber er will eben andere Schwerpunkte setzen. In einer Folge inspiriert ihn Jesu Vorlesen aus der Tora zu seinem berühmten Johannesprolog, und das ist natürlich fabuliert. Die Forschung ist sich relativ einig, dass das vierte Evangelium ein ziemlich spätes ist, und dass der Evangelist nicht mit dem auch „Donnersohn“ genannten Jünger identisch ist. Aber ein bisschen künstlerische Freiheit kann und darf man ja haben – und dass es Parallelen zwischen dem ersten Schöpfungsbericht und dem Johannesprolog gibt, ist alles andere als aus der Luft gegriffen. Die Querverbindungen zwischen biblischen Büchern werden auf diese Weise personifiziert und damit nachvollziehbar gemacht.
Die Charaktere haben biografische Hintergrundgeschichten
Die Story folgt einer Evangelienharmonie, die Handlung bedient sich also verschiedener Geschichten: So sind der junge Mann und die junge Frau, die neu zu den Jüngern stoßen, mutmaßlich das Hochzeitspaar, dessen Feier Jesus in Kana gerettet hat. Eine wichtige Rolle spielen, vor allem in den ersten Folgen, auch Berufungen von Jüngern aus der eher zweiten Reihe: Die zusammengewürfelte Gruppe rund um Jesus findet sich, die ersten Machtkämpfe werden ausgefochten, die Charaktere treten deutlicher hervor. Sie werden umso deutlicher, weil die Autor*innen ihnen biografische Hintergrundgeschichten gegeben haben, die meistens wieder in den biblischen Texten münden. So begegnet ihnen ein Samariter, der sich als derjenige herausstellt, der den Mann auf der Straße nach Jericho überfallen hat. Und am Lagerfeuer sitzt Maria und erzählt den Jünger*innen von der Geburt des Messias („Ich musste ihn saubermachen. Er war über und über… Sagen wir, er war sehr schmutzig.“).
Die Serie erforscht das, was zwischen den Zeilen steht
Damit sind unleugbare Stärken der Serie benannt: Die Jünger*innen sind wichtige Identifikationsfiguren, weil sie Zweifel und Unsicherheiten zum Ausdruck bringen, die wahrscheinlich jeder kennt – insofern wirkt die Geschichte wie ein großer Bibliolog: Die Serie erforscht das, was zwischen den Zeilen steht. Beeindruckend, weil ungewohnt, ist dabei auch ein gewisses Maß an Diversität. Matthäus etwa, der sich gerade anschickt, zum Evangelisten zu werden, wird als Figur gestaltet, die man ohne viel Fantasie irgendwo im Autismus-Spektrum verorten würde. Durch solche Charakterzüge werden die Menschen aus der Nähe Jesu dreidimensional und greifbar, und ich finde auch: glaubwürdig. Was man in Predigten oft wenig ergreifend als „ganz normale Menschen“ zusammenfasst, entpuppt sich als schillernde Galerie verschiedenster und dabei oft auch brüchiger und bizarrer Biografien. Spannend, gerade angesichts der evangelikal-konservativen Herkunft des Regisseurs, ist, dass auch Frauen einen selbstverständlichen Platz im Inner Circle Jesu haben.
Die meisten Darsteller*innen sind People of Colour
Jesus und seine Nachfolger werden konsequent als gläubige und praktizieren Jüd*innen dargestellt, auch das unterscheidet „The Chosen“ deutlich von anderen Verfilmungen. Und in einer Zeit, in der in deutschen Städten Davidsterne an Wohnhäuser gesprayed werden, kann man wahrscheinlich nicht oft genug daran erinnern. Dazu passt, dass die meisten Darsteller*innen People of Colour sind, also Menschen, die dem historischen Jesus und seinem Umfeld deutlich ähnlicher sehen als die wirkmächtigen Jesusbilder der mitteleuropäischen Kunstgeschichte – Jesus war eben kein Weißer.
Die Synchronisation ist fast unerträglich schlecht
Im Original ist die logische Konsequenz, dass die meisten Figuren mit mehr oder weniger nahöstlichem Akzent sprechen. In der deutschen Synchronisation hat man darauf verzichtet, und damit ist einer der größten Wermutstropfen schon genannt: Die Synchronisation ist fast unerträglich schlecht. Zum einen werden hebräische Begriffe falsch ausgesprochen („Waikira“ statt „Wajikra“, der namensgebende Beginn des Buchs Leviticus), zum anderen sind die Dialoge derartig gekünstelt und von frömmelnden Plattitüden durchsetzt, dass sie die ganze Serie doch wieder sehr stark in die Nähe alter Bibelschnurren rücken.
Es zieht sich schon ziemlich
Und auch das muss man sagen: Es zieht sich schon ziemlich. Das liegt an besagten Dialogen, aber wahrscheinlich auch daran, dass die Dramaturgie biblischer Texte anders getaktet ist als die zeitgenössischer Serien. So endet etwa keine Folge mit einem wirklichen Cliffhanger. Natürlich merkt man dabei auch, dass ein Crowdfunding-Projekt wie „The Chosen“ es sich nicht leisten kann, die erste Garde an Drehbuchschreiber*innen (und Schauspieler*innen) zu beschäftigen.
Nichts zum Binge-watchen, bringt aber zum Nachdenken
„The Chosen“ ist nichts, was ich binge-watchen würde. Aber es ist auch nichts, wovor ich meine Konfis warnen würde. Und mich hat die Serie dort, wo die Jünger mit ihren eigenen Fragen unterwegs sind, oft ins Nachdenken gebracht. Unterm Strich vielleicht sogar öfter als manche Predigt, die mir zum x-ten Mal erzählt, dass Jesus irgendwie auch ein ganz Netter war. Deswegen möchte ich die Serie würdigen als den einzigen mir bekannten Versuch, die biblischen Geschichten so zu erzählen, dass es meinen sehr von Netflix geprägten Seh- und Hörgewohnheiten entgegenkommt.
„The Chosen“ gibt es auf DVD und Blu-ray und die Serie kann im Internet oder über eine App angesehen werden. Die erste Staffel ist auch bei Netflix im Programm. Weitere Informationen dazu finden Sie hier, in den FAQ.
Zur Person: Holger Pyka
Pfarrer Dr. Holger Pyka, Jahrgang 1982, ist seit September 2023 Dozent für Homiletik/Liturgik, Kasualien und Gemeindeentwicklung am Seminar für pastorale Ausbildung in Wuppertal. Zuvor war er von 2015 an Gemeindepfarrer in Wuppertal. Serien, die – seiner Meinung nach – jede Pfarrperson gesehen haben sollte, sind: „Queer Eye“, „Pose“ und „Scrubs“. Pyka ist verheiratet und lebt in Wuppertal.