Initiative „Edelgard“: Schnelle Hilfe für Frauen in Notsituationen

Mehr als 200 Einrichtungen in Köln haben sich als „sichere Orte“ zertifizieren lassen – und sind damit Teil der Initiative „Edelgard“ gegen sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen geworden. Dazu gehören auch Gemeindehäuser und evangelische Jugendtreffs.

11. November 2023: Köln eröffnet die Karnevalsaison. Die Stimmung ist ausgelassen. In der Straßenbahn herrscht Hochbetrieb. Eine junge Frau hat in ihrem Kostüm einen Sitz ergattert zwischen vielen anderen Kostümierten und versucht einen Augenblick Luft zu holen – während die Stadt Kopf steht. Sie fühlt sich unwohl und bedrängt. Seit einer ganzen Weile scheint ein Mann ihr zu folgen, er hat sie mehrfach angesprochen und auch ihre klare Abweisung nicht akzeptiert. Nun steht er nur ein paar Meter entfernt. In diesem Moment fällt der jungen Frau der Handzettel in ihrer Jackentasche ein. Eine Frau in Warnweste und mit einer großen Flagge hatte ihr den Zettel vorhin vor der Kneipe zugesteckt. Jetzt zieht sie ihn aus der Tasche, entdeckt die Nummer, greift nach ihrem Handy und wählt. Schon nach kurzem Klingeln hört sie eine freundliche Frauenstimme: Edelgard.

Verschiedene Lösungen – die Frau entscheidet, was sie braucht

Chiara Makowski, Koordinatorin bei „Edelgard“

„Wir stellen dann nur eine Frage“, sagt Chiara Makowski, deren Kolleginnen am anderen Ende ans Telefon gehen, „wir wollen wissen, was die Frau braucht.“ Chiara Makowski arbeitet als Koordinatorin bei der Kölner Initiative „Edelgard“, die sich gegen sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen einsetzt. Die Initiative will einerseits für einen gesellschaftlichen Diskurs sorgen, um sexualisierter Gewalt erst gar keinen Raum zu geben, und andererseits konkrete Hilfe in Notsituationen anbieten. „Bei dem Anruf aus der Straßenbahn gibt es grundsätzlich verschiedene Lösungsansätze“, erklärt Chiara Makowski, „die Frau entscheidet, was sie braucht.“

Der Ohnmacht etwas entgegensetzen

Häufig sei es für Frauen in einer solchen Situation wichtig, wieder selbst aktiv werden zu können: Das könne mit dem Anruf gelingen. Gemeinsam überlegen die Beraterin am Telefon und die junge Frau in der Straßenbahn, welche Möglichkeiten es in der Situation gibt. Den Platz wechseln, aussteigen, eine andere Frau im Wagon ansprechen: Hauptsache der Ohnmacht etwas entgegensetzen. Wenn gerade zufällig ein „Edelgard“-Team in der Nähe ist, kann auch ein Treffpunkt vereinbart werden. „Wir sind da“, erklärt Chiara Makowski. Das gilt für Großveranstaltungen in Köln wie Karneval oder die Gamescom.

Auf kurzem Weg erreichbar

Mit Fahnen und in Neonwesten gekleidet machen die Mitarbeiterinnen auf sich aufmerksam und verteilen Handzettel. Auch über die Werbung auf großen digitalen Leinwänden, sogenannten Megalights, informieren die Beraterinnen über ihr Angebot für Mädchen und Frauen, die sich sexualisierter Gewalt ausgesetzt sehen. So bringen sie auch ihre Telefonnummer unter die Frauen, unter der sie während der Veranstaltungen auf kurzem Weg erreichbar sind. Hier melden sich Betroffene, die sich bedrängt fühlen. Mädchen rufen an, die gerade einen Übergriff erlebt haben – verbal oder auch körperlich. Und auch Frauen, die vergewaltigt wurden, wählen die Nummer.

Keine Anruferin muss sich erklären

„Sexualisierte Gewalt beginnt dort, wo die Grenzen einer Frau übertreten werden“, erklärt Chiara Makowski. Kein Mädchen und keine Frau, die die Nummer wählen, müssen sich erklären oder schmerzhafte Situationen schildern. Und vor allem wird nichts unternommen, was die Anruferin nicht selber will. „Uns geht es darum, die Mädchen und Frauen zu begleiten, damit sie sich wieder sicher fühlen“, erklärt die Sozialarbeiterin. Denn das Team weiß: „Je schneller Betroffene in diesen Situationen Hilfe und Unterstützung erfahren, umso besser lässt sich Erlebtes verarbeiten.“

Netz aus „schützenden Orte“ im Alltag

Diese schnelle Hilfe sollen Mädchen und Frauen in Köln auch im Alltag erfahren. Deswegen hat die Initiative „Edelgard“ mit mehr als 200 Kooperationspartnern ein Netz aus „schützenden Orte“ geschaffen. Öffentliche Einrichtungen, Cafés und Clubs genauso wie Gemeindehäuser und Jugendtreffs machen mit. Mit einem „Edelgard-Aufkleber“ an der Tür signalisieren sie: Hier finden bedrohte Mädchen und Frauen Sicherheit.

Kirchenverband macht mit bei „Edelgard“

Auch der Evangelische Kirchenverband Köln und Region ist dabei. Jeden Morgen, wenn Ute Verch vom Frauenreferat des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch ihre Bürotür öffnet, fällt ihr Blick auf den kleinen, auffälligen „Edelgard“-Aufkleber. „Für uns geht es auch darum, Haltung zu zeigen“, sagt Ute Verch. „Wir machen klar: Hier sind Mädchen und Frauen sicher.“ Viele Akteure aus dem Gemeindeleben und der Jugendarbeit im Kirchenverband haben inzwischen an einer Schulung von Edelgard teilgenommen, um ein „schützender Ort“ zu werden. „Bei uns ist der Schutz von Mädchen und Frauen seit langem ein wichtiges Thema“, erklärt Ute Verch und erzählt von der Arbeit im Alltag, von Angeboten für junge Frauen und der Schaffung von Schutzräumen im Gemeindealltag. Als die Initiative „Edelgard“ gegründet wurde, habe man schnell festgestellt: „Das passt gut zusammen.“

„Es gibt keinen Raum für sexualisierte Gewalt in Köln“

Der Aufbau und die Verknüpfung dieser Orte machen den zweiten Baustein der „Edelgard-Arbeit“ aus. „Dabei geht es um zivilgesellschaftliches Engagement“, erklärt Chiara Makowski. Mehrmals im Jahr bietet das Team von „Edelgard“ Schulungen für interessierte Einrichtungen an. Teilnehmende werden darin mit einem Notfallkoffer ausgestattet und mit einem Leitfaden vertraut gemacht, den sie im Notfall mit der Frau gemeinsam durchgehen können. Auch Kontaktadressen zu Beratungsstellen und Ansprechpersonen finden sich in dem Köfferchen. „Denn natürlich kann ein schützender Ort keine Beratung ersetzen“, betont die Sozialarbeiterin. Alle rund 200 Adressen der „schützenden Orte“ finden Mädchen und Frauen in einer  „Edelgard“-App, mit der sie sich auch navigieren lassen können. „Unser Ziel ist es, dass es künftig gar nicht mehr zu Übergriffen kommt“, sagt die Fachfrau. „Täter sollen wissen: Es gibt keinen Raum für sexualisierte Gewalt in Köln. Das ist also auch Präventionsarbeit“, erklärt Chiara Makowski.

Info: Initiative Edelgard

„Edelgard“ ist ein Projekt der Kölner Initiative gegen sexualisierte Gewalt, zu der auch der Evangelische Kirchenkreis Köln-Mitte und die Diakonie Michaelshoven gehören. Es wurde nach der Silvesternacht 2015 gegründet – als Frauen und Mädchen am Kölner Hauptbahnhof Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Die Initiative „Edelgard“ hat ein Netzwerk geschaffen gegen sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen an dem sich mehr als 200 Kooperationspartner in Köln beteiligen. Seit Mai 2023 gibt es eine „Edelgard“-Koordinierungsstelle unter dem Dach des Frauenberatungszentrums in Köln mit einer hauptamtlichen Stelle. Der Name ergibt sich aus EDEL = aufrecht, stolz, selbstsicher und GARD = Zaun, Schutz. www.edelgard.koeln

  • 8.2.2024
  • Theresa Demski
  • Initiative Edelgard