Trier – Es war ein ganz besonderer Abend in der Evangelischen Kirche zum Erlöser, der Konstantin-Basilika mitten in Trier: Bundestagspräsident a. D. Dr. Wolfgang Schäuble hielt am Dienstag, 27. Juni 2023, vor zahlreichen Gästen aus Politik, Kirche und Gesellschaft einen Impulsvortrag unter dem Titel „Ist mit Kirche noch Staat zu machen?“. Das 75. Jubiläum des Landes Rheinland-Pfalz im vergangen Jahr hatten der Evangelische Kirchenkreis Trier, das Evangelische Büro Mainz und die Wissenschaftsallianz Trier zum Anlass genommen, zu dieser Veranstaltung einzuladen. Der Superintendent des Kirchenkreises Trier, Dr. Jörg Weber, und der Präsident der Universität Trier, Professor Dr. Dr. h.c. Michael Jäckel, begrüßten die Gäste und erklärten, es solle an diesem Abend um das „Spannungsverhältnis von Staat und Kirche“ gehen, welches in allem aber immer auch Mut mache „zur Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens“.
Der Fernsehjournalist Holger Wienpahl, der den Abend moderierte, leitete über zum Vortrag von Dr. Wolfgang Schäuble: Seit sehr langer Zeit habe es keinen Politiker gegeben, der länger im Parlament war als Schäuble mit rund 51 Jahren, dabei sei Schäuble einer, der sich immer klar positioniert habe, was Kirche und Staat angeht. Und: „Er ist einer, der nicht nur nachdenkt, sondern auch vor denkt!“
Schäuble erinnerte zunächst an die Geschichte und das besondere Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland – seit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 gelten die drei Grundsätze Religionsfreiheit, Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften und deren Selbstbestimmungsrecht.
Kirche spiele seither eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben, beispielsweise in den Bereichen Betreuung, Erziehung und Bildung. Eine politische Ordnung sei dabei auf Freiheit angewiesen, so Schäuble. Das Mehrheitsprinzip werde sonst schnell durch das Recht des Stärkeren ersetzt. Für die Stabilität seien gemeinsame Überzeugungen wichtig, die aus Geschichte und religiöser Erfahrung gewachsen seien. Dabei lebe der freiheitliche, säkulare Staat aus Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren könne, so der ehemalige Bundestagspräsident.
Schäuble erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die aktuelle Situation der Kirchen – diese blieben nicht von allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen ausgenommen. Und es scheine mitunter, dass die Entwicklung der Gesellschaft die Kirchen stärker präge, als die Kirchen die Gesellschaft, so Schäuble. Dies sei zu diskutieren.
Er sei öfter gefragt worden, inwiefern die biblische Bergpredigt für die praktische Politik taugen würde – er habe dies immer bestritten, denn Politik habe es mit der Gestaltung des Irdischen zu tun, und da habe sie mit dem Menschen zu tun, wie er ist, und nicht wie er sein sollte, so Schäuble.
Im Gespräch mit Wienpahl, bei dem die Gäste auch eigene Fragen einbringen konnten, betonte Schäuble die Wichtigkeit der Diskussion – Kirche sei Teil der offenen Gesellschaft, in den offenen Fragen müsse sie auf Werte verweisen, aber es gäbe nicht die eine Meinung, so Schäuble. Meinungsfreiheit und Meinungsverschiedenheit seien die Grundlage von Freiheit – wenn es nur eine Meinung gäbe, gäbe es keine Freiheit. In weltlichen Fragen gäbe es unterschiedliche Meinungen und „davor muss man Respekt haben“, so Schäuble. Kirche solle sich einmischen in weltliche Fragen und gesellschaftliche Situationen, aber „nicht mit Verweis auf Glaubensüberzeugungen und mit dem Verweis, es gibt nur eine Lösung“. Als Mensch könne man jeden Tag am Zustand der Welt verzweifeln, so Schäuble weiter, aber: „Wir müssen nicht verzweifeln. Jeder kann etwas tun.“
Auf die Frage, ob er die Akzeptanz der Kirche gefährdet sehe, betonte Schäuble: „Ich bin da nicht pessimistisch. Kirchen werden gebraucht – wenn wir wissen, dass wir unseren Beitrag leisten müssen. Wir machen die Dinge wertvoll – Geben ist seliger als nehmen. Und damit hat die Kirche einen Beitrag zur Wertegesellschaft erbracht.“
Schäuble sprach auch ganz persönlich über seinen Glauben: „Mein Glaube ist etwas, das außerhalb meiner Verfügung ist, und das mich trägt.“ Und diesen Glauben, dieses Getragen Sein spürbar werden zu lassen, sei wichtig: „Wenn wir evangelisch ausstrahlen, dass wir uns freuen, dann leisten wir unserem Land einen unglaublichen Dienst.“
Für Schäuble war in all dem klar, dass es nicht die Frage sei, ob Kirche noch Staat machen könne. Die Frage sei vielmehr: „Wie sollte man ohne Kirche noch Staat machen?“
Werte wie Freiheit, Gleichheit, Zusammenhalt, soziale Gerechtigkeit, Fraternité und der Schutz der Würde eines jeden Menschen seien einige der grundlegenden Werte, die es im Miteinander brauche. Im Leben sei man auf Gemeinschaft angewiesen, so Schäuble. Der Mensch könne nicht allein für sich leben. Und die säkulare Ordnung brauche dabei religiöse Orientierung, erinnerte Schäuble in Anlehnung an Gedanken des Philosophen und Soziologen Jürgen Habermaas. Für ihn sei klar: In der Gefahr wächst das Rettende, so wie Hölderlin es einmal ähnlich formuliert hat. Und das chinesische Schriftzeichen für Krise und Chance sei ein und dasselbe, brachte es Schäuble zusammen. „Wer, wenn nicht die Kirchen könnten diese Hoffnung besser vermitteln?“ Deshalb werde Kirche gebraucht, um Staat zu machen, so Schäuble.
Kirchenrat Wolfgang Schumacher vom Evangelischen Büro Mainz fasste es dann abschließend würdigend noch einmal zusammen – der Abend sei protestantisch, professionell, prägnant und pointiert gewesen, dies träfe auf Schäuble wie auch auf Wienpahl zu. Es sei zudem zu spüren gewesen, „wie wohltuend es ist, wenn in Zeiten verbaler Überspitzung auch zugehört wird“, so Schumacher. Denn zum Streiten, zur Diskussion gehöre Zuhören unbedingt dazu.
Im Anschluss luden der Evangelische Kirchenkreis Trier, das Evangelisches Büro Mainz sowie die Wissenschaftsallianz Trier zu einem kleinem Empfang ein. Musikalisch wurde der Abend gestaltet von Kirchenmusikdirektor Martin Bambauer an der Eule-Orgel der Konstantin-Basilika.