Webandacht: Schranken-Gedanken

Die Tage fahre ich nach Ehrang und muss bremsen. Die Schranken am Bahnübergang sind unten. Mist, weil ich eh spät dran bin.

Gerade als ich fluchen will, denke ich: „Ey, die Schranken sind unten, also kommt ein Zug.“ Schon höre ich ein polterndes Quitschen und statt zu fluchen, lache ich, flüstere vor mich hin: „Ja – ein Zug fährt wieder“. Ich freue mich. Denn: seit der Flut war es ziemlich still. Die Schranken standen irgendwie immer oben. Es war zwar freie Fahrt am Bahnübergang, aber war das gut? Immerhin gab es nicht alle Verbindungen. Nein – nicht gut. Die Schranken öffnen sich – ich fahre weiter. Am Abend kommt mir dieses Schrankenerlebnis in den Sinn. Der Zug fährt wieder. Noch nicht richtig. An vielen anderen Stellen sind die Schranken noch unten. Nicht nur an Bahnübergängen, sondern da, wo man immer noch warten muss. Auf die Bewilligung von Anträgen oder Handwerker oder Lieferungen. Da, wo es gar nicht leicht ist für Betroffene eine Entscheidung zu treffen, wie es weitergeht. Da wo das Leben echt nicht rund läuft. In Ehrang, Kordel, an der Sauer und anderswo. Dass wird noch langen Atmen kosten und Geduld fordern. Da schiebt sich Paulus mir in die Gedanken „Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.“ – damit meinte er zwar weder die Flut noch das Warten an Schranken, aber ich denke: ja – das wird die Kunst sein. Einen Blick zu haben, wie es werden kann, aber in aller drängenden Ungeduld doch geduldig zu warten. Und sich ausgerechnet an einer geschlossenen Schranke zu freuen, dass es langsam weitergeht. Seit dem fluche ich am Bahnübergang übrigens deutlich weniger. Irgendwie macht es das mir leichter.

Pfarrerin Vanessa Kluge, Ehrang


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