Ich habe Jesus gesehen.
Also nicht ich, aber ein Kind. Es kommt nach Hause und erzählt voller Spannung seiner Mutter: „Ich habe den Jesus gesehen“. Die Mutter fragt skeptisch nach: „Jesus? Wo denn?“ Schließlich ist das ja eine durchaus ungewöhnliche Nachricht. Denn Ostern hin oder her, fest steht: Jesus ist seit knapp 2.000 Jahren nicht mehr gesichtet worden. Jedenfalls gibt es dazu keine gesicherten Informationen. „Im Schwimmbad, da bin ihm begegnet“, erklärt das Kind. „Ach so“, sagt die Mutter, „Du hast also die Katja im Schwimmbad gesehen.“ Sie ist beruhigt.
Diese Geschichte erzählt mir eine Kollegin, als wir und uns über Bräuche und Aktivitäten der Kinder zu Ostern unterhalten. Die einen gehen rappeln, andere machen Musik im Gottesdienst oder spielen in einem Stück über die Jesusgeschichte mit. Und das ist die Erklärung für den überraschenden Satz: „Ich habe Jesus gesehen“. Es war „nur“ die Katja, die seit Jahren den Jesus im Anspiel im Gottesdienst gibt.
Ostern ist das Fest der Auferstehung Jesu. Die biblischen Geschichten berichten, dass Jesus drei Tage nach seinem Tod nicht mehr im Grab liegt. Er habe den Tod überwunden, erzählen sie auf ganz unterschiedliche Weise. Was es genau mit der Auferstehung auf sich hat, das hat schon die Jüngerinnen und Jünger bewegt. „Ich habe den Herrn gesehen“, sagt Maria von Magdala den anderen Jüngern im Johannesevangelium. Sie hat das Grab leer vorgefunden und ist dem auferstandenen Jesus begegnet. Dennoch hielten ihn die einen für ein Gespenst, die anderen zweifelten.
Kein Wunder. Auferstehung ist naturwissenschaftlich nicht zu beweisen. Glaubensgeschichten wollen erzählt werden. Ihr Wahrheitsgehalt vollzieht sich im Weitergeben, Aktualisieren und Deuten. Angereichert mit der Hoffnung, dass Leben und Liebe stärker sind als Tod und Hass. Wo das geschieht, da kann man Jesus bis heute erfahren, also auf eine bestimmte Weise „sehen“. Wenn Menschen eine unbändige Lebenslust haben, trotz mancher Rückschläge. Oder wenn ich einen Blick in die wunderbar neu aufsprießende Natur werfe. Die lässt mich die Welt mit hoffnungsvollen Augen sehen.
Dr. Jörg Weber, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Trier