Webandacht: Losgehen ins Leben

Eine volle Woche. Nichts dramatisches. Alltag wie immer. Trotzdem ist der Kopf dicht mit dem Erlebten. Zwischen Mails und Terminen verzetteln sich meine Gedanken. Eine Freundin schickt ein Urlaubsbild. Ich wünsche gute Erholung und schreibe „Ich bin platt und hänge gerade. Komm nicht so recht weiter.“ Ihre Sechsjährige schickt mir eine Sprachnachricht „Ich steh immer einfach auf und gehe los. Spazieren. Und gucke und finde was.“ Mit kindlicher Lust erzählte sie, was sie alles tut. Ich lausche ihrer Begeisterung. Freue mich an dem Satz „Ich steh einfach immer auf und geh los.“ Plötzlich schießt mir eine Szene in den Kopf. Vorletzte Woche war ich abends in einer Kneipe auf ein Schmier und eine Limo. Drei Männer am Nebentisch. Die beiden Älteren haben jeder einen Gehstock mit edelen Knauf. Einer nimmt die Stöcke vergleichend prüfend in die Hände und testet. Der Jüngste am Tisch sagt laut: „Und haste doppelte PS jetzt?“ Ich habe mich fast verschluckt ob der Situationskomik. Aber genau das ist mir im Kopf geblieben, weil ich ja auch immer gerne reinfalle in dieses „Schneller – höher – weiter“ Dabei tut es gar nicht Not. Das macht der Alltag ganz von alleine. Hauptsache ist doch, dass ich einfach aufstehe und losgehe. Vielleicht einen Spaziergang mache. Vor allem aber gucke. Am besten mit der Begeisterung wie die Sechsjährige. Aber auch mit der Lebensfreude der Männer aus der Kneipe. Eigentlich ein bisschen wie Matthäus, der hat von beiden etwas, wenn er sagt „Sorge dich nicht um morgen – es reicht, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“ Morgen aber geh ich los und gucke und wenn ich Lust habe laufe ich – oder gehe schnell spazieren. Mit zwei PS – eins pro Fuß. Hauptsache los gehen – ins Leben.

Pfarrerin Vanessa Kluge, Ehrang


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