Eine Oase im Trubel der Schule

Serie Schulseelsorge (2) – Eine Auszeit im lauten Schulalltag: Schulseelsorger Michael Hohmann hat an der David-Roentgen-Schule in Neuwied einen mobilen Raum der Stille geschaffen. Schülerinnen und Schüler sollen während Projekten im Religionsunterricht die Möglichkeit bekommen, die Seele baumeln zu lassen. Der mobile Raum der Stille ist das zweite Projekt, das wir in unserer dreiteiligen Serie zur Schulseelsorge vorstellen.

Schulseelsorger Michael Hohmann.

Auf den Schulfluren und auf dem Pausenhof haben sie meistens das Handy in der Hand. Der Ton ist gelegentlich rau, es wird auch mal gerangelt und gefrotzelt. Kurz bevor die Schulstunde beginnt, herrscht meistens noch heiterer Trubel in der Schülergruppe. Aber an diesem Tag bleiben sie mit einem Ruck im Türrahmen des Klassenraums stehen. Die Rollladen verdunkeln den Raum, Waldgeräusche suchen sich einen leisen Weg in das Zimmer und auf dem Boden liegen Felle und helle Decken. „Und dann konnte ich beobachten, wie die Jungs ihre Handys einsteckten, die Schuhe auszogen und sich teilweise richtig einkuschelten“, erzählt Michael Hohmann, „das war wirklich bemerkenswert.“

„Manche sind eingeschlafen, andere haben gelauscht“

Als hätten sie eine unsichtbare Grenze zum übrigen Schulbetrieb überschritten, ließen sich die Schüler der Religionsklasse an der David-Roentgen-Schule auf das neue Projekt des Schulseelsorgers ein. „Manche sind eingeschlafen“, erzählt Michael Hohmann, „andere haben einfach gelauscht.“ Und genau das hatte sich der Lehrer für Metalltechnik und Evangelische Religion für den mobilen Raum der Stille gewünscht. „Ich wollte eine Gelegenheit schaffen, damit die Schülerinnen und Schüler der Stille zuhören können“, sagt er. Und pünktlich zum Tag der offenen Tür, an dem Betriebe aus der Region sich potenziellen Schülerinnen und Schülern an der berufsbildenden Schule vorstellen, hatte Michael Hohmann die Idee verwirklicht.

Die gestaltete Mitte ist schnell aufgebaut.

Ruckzuck wird das Klassenzimmer zum Raum der Stille

Er hatte mit finanzieller Unterstützung der Kirchengemeinde Material für einen Rollwagen aus Holz kaufen können, der in der schuleigenen Holzwerkstatt mit Unterstützung von Kollegen und Schülern gebaut wurde, dazu Felle, Decken und Material für eine gestaltete Mitte. „Dahinter steckte die Überzeugung, dass wir auch im Trubel einer großen berufsbildenden Schule eine Oase schaffen können“, erzählt der Schulseelsorger. Es hatte allerdings eine Bedingung gegeben: Der Raum sollte im Alltag auch als Unterrichtsraum genutzt werden können. Also hatte der Schulseelsorger Michael Hohmann für den Fachbereich Religion die Idee eines mobilen Angebots entworfen. Felle und Decken, die gestaltete Mitte und die Geräusche des  Waldes sollten bei Bedarf in Windeseile einen Unterrichtsraum in einen Raum der Stille verwandeln können. So war die Idee des Materialwagens entstanden, der die restliche Zeit recht unbemerkt in einer Nische im Unterrichtsraum stehen würde. Hohmann hatte das Interesse in den beteiligten Klassen abgefragt, Rücksprache mit der Schulleitung gehalten und sich dann an die Umsetzung gemacht.

In einem Rollwagen aus Holz wird das Material aufbewahrt.

Die Atmosphäre soll zeigen: Du bist willkommen

Mit Erfolg. Der Raum wirkte auf die Schülerinnen und Schüler. „Es ist mir wichtig, ihnen zu signalisieren: Du bist willkommen. Und wenn ich das nicht immer mit Worten erreiche, dann vielleicht mit der besonderen Atmosphäre“, sagt er. Und er signalisierte den Schülerinnen und Schülern auch: Sie dürfen ihre Probleme und Sorgen mitbringen, ihre Ideen zur Berufs- und Schulwahl, ihre eigene Geschichte und ihre Träume. „Die Schülerinnen und Schüler haben so viele Gedanken im Kopf“, sagt er. Familien, Ausbildung, Unsicherheiten. Und im Grunde werde es niemals still in ihrem Leben – auch wegen Handys und Kopfhörern. „Die Stille hat aber die Kraft, einen zu den Fragen zu bringen, die einen wirklich umtreiben“, sagt er und erzählt von eigenen Aufenthalten im Kloster. Das sei meistens erstmal unangenehm. „Aber wenn man dann wirklich zur Ruhe kommt, ist das faszinierend“, sagt Hohmann. Dieses Erlebnis wünschte er sich auch für seine Schülerinnen und Schüler. Dann allerdings kam erstmal die Corona-Pandemie – mit all ihren Herausforderungen und besonderen Auflagen auch im Schulleben. Auch Hygienefragen müssen nun neu geklärt werden.

Ein Ort für Phantasiereisen und Stilleübungen

Er hoffe, dass der der mobile Raum der Stille künftig einen Ort in der Schule findet, um im Rahmen des Religionsunterrichts etwa die Gelegenheit für Phantasiereisen oder Stilleübungen in kleinen Gruppen schaffe. Dass in der Adventszeit oder bei besonderen Projekten gemeinsam mit den Schulpfarrerinnen der Raum als Oase empfunden werde. „Und sicher könnte man in einer kleinen Sitzecke auch die Atmosphäre für ein Gespräch im Rahmen der Schulseelsorge  nutzen“, sagt er, „falls sich in der Stille Fragen auftun oder Gesprächsbedarf entsteht.“

Serie Schulseelsorge (1): Das Take-Car-Team im Hennef bietet täglich eine offene Sprechstunde an

Serie Schulseelsorge (3): „Walk and Talk“ in Solingen: Spaziergang mit der Schulseelsorgerin

  • 11.8.2022
  • Theresa Demski
  • Red