Jürgen Moltmann zählt zu den großen Theologen der jüngeren Kirchengeschichte. Er baute Brücken zwischen christlicher Frömmigkeit und einer revolutionären Hoffnung auf eine solidarische und friedliche Welt. Damit prägte er das Denken ganzer Pfarrergenerationen – und von Christinnen und Christen weltweit. Als „großen Lehrer der Kirche“ würdigte ihn einmal der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm. Am Montag, 3. Juni 2024, starb der Ausnahmegelehrte im Alter von 98 Jahren in Tübingen.
Bis zuletzt meldete sich Jürgen Moltmann zu aktuellen politischen Themen zu Wort. So regte er Ende 2021 ein jährliches Gedenken für Corona-Tote an. Sollten Zehntausende von Toten „nicht zu einem Volkstrauertag in jedem Jahr führen?“, erklärte er: „Wir gedenken doch auch der Kriegstoten.“
Moltmanns Laufbahn als Theologe begann in Wuppertal
Dr. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, würdigt Moltmanns Bedeutung für die rheinische Kirche und darüber hinaus in einem Kondolenzschreiben an dessen Familie: „Mit Jürgen Moltmann ist einer der ganz großen Theologen gestorben, der Generationen von Theolog*innen und Pfarrer*innen geprägt hat. Die Evangelische Kirche im Rheinland verdankt ihm sehr viel“, sagt Latzel. „An der Kirchlichen Hochschule Wuppertal begann er seine Laufbahn als Theologe und akademischer Lehrer. Dort und an der Universität in Bonn entstand sein wichtigstes und einflussreichstes Werk: die Theologie der Hoffnung. Vor allem durch seine drei großen Werke ,Theologie der Hoffnung‘, ,Der gekreuzigte Gott‘ und ,Kirche in der Kraft des Geistes‘ hat er nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch maßgeblich in die Gesellschaft hinein gewirkt und Impulse im Blick auf Schöpfung, Fragen der Gerechtigkeit und Zukunftshoffnung gesetzt.“
Moltmann wuchs in einer kirchenfernen Lehrerfamilie auf
Der am 8. April 1926 in Hamburg geborene Sohn einer kirchenfernen Lehrerfamilie war zunächst Professor für Dogmengeschichte an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, ehe er 1963 nach Bonn berufen wurde. Von 1967 bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte er in Tübingen. Moltmann war mit der 2016 verstorbenen, international renommierten feministischen Theologin Elisabeth Moltmann-Wendel verheiratet. Die beiden hatten vier Kinder. Am 1. November 2022 verlieh ihm die Kirchliche Hochschule Wuppertal die Ehrendoktorwürde.
Als Luftwaffenhelfer im Zweiten Weltkrieg
Jürgen Moltmann wird durch den Zweiten Weltkrieg tief geprägt. Als junger Luftwaffenhelfer bei der Alster-Flakbatterie erlebt er das Bombeninferno mit Feuersturm, das im Juli 1943 über Hamburg hergeht. Ein Schulfreund wird dabei neben ihm zerrissen. Mit 19 Jahren kommt er in britische Kriegsgefangenschaft. Dort beschäftigt er sich intensiv mit religiösen Fragen.
„Theologie der Hoffnung“ von 1964 galt als Aufbruch
Sein Erstlingswerk „Theologie der Hoffnung“ von 1964 galt damals als Aufbruch in der Theologie. In den USA wurde er nach dem Erscheinen als „Herold eines neuen Protestantismus“ gerühmt, wie es in einem „Spiegel“-Artikel Ende der 1960er Jahre hieß: Moltmann propagiere ein umstürzlerisches, gesellschaftsänderndes Christentum. Dagegen argwöhnte die Schweizer Theologielegende Karl Barth (1886-1968), mit seiner Theologie der Hoffnung habe Moltmann das legendäre „Prinzip Hoffnung“ – Hauptwerk des neomarxistischen Philosophen Ernst Bloch – christlich „getauft“.
Neuauflegung der Kernthemen christlicher Theologie
Man dürfe Moltmann nicht auf seine „Theologie der Hoffnung“ reduzieren, geben Experten zu bedenken. In „Der gekreuzigte Gott“ von 1972 entfaltet er eine Theologie nach Auschwitz und fragt nach der Bedeutung des Todes Jesu für die Gegenwart. Zwischen 1980 und 1995 legt er die Kernthemen christlicher Theologie in fünf Bänden neu aus: die Lehre von Gott, der Schöpfung, von Jesus Christus, vom Heiligen Geist (Pneumatologie) sowie der Lehre von den letzten Dingen im Leben jedes Menschen, der ganzen Welt und des Kosmos (Eschatologie).
Die globale ökologische Krise beschäftigte Moltmann schon früh
Zentrales Thema von Moltmanns Denken ist schon früh die globale ökologische Krise. Die Herausforderung der Klimakrise durchzieht auch sein Spätwerk „Politische Theologie in der modernen Welt“ (2021) wie ein roter Faden, so einmal der evangelische Sozialethiker Jörg Hübner. Moltmann fordere darin eine „grüne Reformation“, eine „Sympathie aller Dinge“, eine „neue ökologische Anthropologie“, eine „Liebe zur Erde“ mit all ihren Kreaturen.
Tod und Auferstehung beschäftigten ihn in späten Jahren
Mit über 90 Jahren dachte Moltmann neu über Tod und Auferstehung nach. Nach dem Tod seiner geliebten Frau Elisabeth „hat sich sein Dasein radikal verändert“, heißt es im Schweizer Kirchenportal „ref.ch“. Damit sei das Thema für ihn auch zum persönlichen Problem geworden. In seinem 2020 erschienenen Buch „Auferstanden in das ewige Leben: Über das Sterben und Erwachen einer lebendigen Seele“ verband er theologische Überlegungen mit persönlichen Gedanken und Erfahrungen.
In einer Reihe mit großen theologischen Denkern
Moltmann steht in einer Reihe mit großen theologischen Denkern wie Wolfhart Pannenberg (1928-2014), Johann Baptist Metz (1928-2019), Hans Küng (1928-2021) und Eberhard Jüngel (1934-2021). „Hundert Jahre alt möchte ich nicht mehr werden“, bekannte er noch auf der Feier seines 95. Geburtstags: „Aber wir leben in die Auferstehung hinein, nicht in den Tod.“