Eines der schwersten Unglücke in der Geschichte des Landes NRW hat für Dietrich Bredt-Dehnen am Anfang seiner Arbeit als Seelsorger für die Polizei gestanden: die Loveparade-Katastrophe mit 21 Toten und 652 Verletzten im Juli 2010. Der 65-jährige Leitende Landespfarrer für Polizeiseelsorge der rheinischen Landeskirche beendet nach knapp 13 Jahren seinen Dienst und und wird am 29. März 2023 mit einem Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) zieht Bredt-Dehnen eine Bilanz.
Herr Bredt-Dehnen, wo liegt aus Ihrer Sicht der größte Unterschied zwischen der Arbeit als Gemeindepfarrer und dem Einsatz als Polizeiseelsorger?
Dietrich Bredt-Dehnen: Die Unterschiede zwischen beiden Arbeitsfeldern sind riesig. Ich habe auch 24 Jahre als Gemeindepfarrer gearbeitet. Von daher kann ich das, glaube ich, ganz gut vergleichen. Wir arbeiten bei der Polizei in einem komplett säkularen Umfeld. Es ist ein staatlicher Hoheitsbereich, wir sind Gäste mit einem besonderen Status. Es geht darum, dass wir vor Ort präsent sind, Einsätze begleiten, ansprechbar sind – und dass wir dabei eine Sprache sprechen, die nicht kirchlich ist. Dabei orientieren wir uns an den Erfahrungen der Menschen, die in der Polizei arbeiten. Präsenz ist extrem wichtig in der Polizeiseelsorge, wir müssen zu den Leuten hingehen. Das ist die Voraussetzung, um überhaupt Akzeptanz zu bekommen. Es geht darum, professionell zu arbeiten und den Menschen im Blick zu behalten. Ich habe in der Polizei mehr Zeit für Seelsorge und Beratung gehabt, als ich in meiner Gemeindezeit gehabt hatte. Im Übrigen sind wir auch für alle Beschäftigten der Polizei und deren Familienangehörigen zuständig – egal welcher Konfession oder Glaubensrichtung. Zudem arbeiten wir viel in der Aus- und Fortbildung.
Seit dem 1. Juli 2010 leiten Sie das Team des Landespfarramtes der Evangelischen Kirche im Rheinland und betreuen Polizistinnen und Polizisten. Welche Themen waren dabei aus Ihrer Sicht besonders wichtig?
Bredt-Dehnen: Das sind existenzielle Themen, die im Alltag der Polizei immer wieder eine Rolle spielen. Da hat man es als Polizistin oder Polizist immer wieder mit Tod, mit Gewalt, den Abgründen der Gesellschaft und absoluten Grenzsituationen zu tun. Die Frage zum Umgang mit psychischen Belastungen, die aus den Einsätzen entstehen, ist immer aktuell. In den letzten 13 Jahren habe ich zudem verstärkt mit Menschen zusammengearbeitet, die in Fällen von Kinderpornografie ermitteln und aufklären helfen. Da ist es naheliegend, dass diese Tätigkeit eine sehr hohe Belastung mit sich bringt. Zu den Belastungen im Dienst gehört es auch, dass die Beamten bei Einsätzen Übergriffen ausgesetzt sind und erleben müssen, wie niedrig die Hemmschwelle mittlerweile geworden ist. Und auch das Thema Rechtsradikalismus ist wichtig: Dabei geht es auch um die Frage, inwieweit gruppenbezogener Alltagsrassismus bei der Arbeit der Polizei vorkommt.
Was macht aus Ihrer Sicht die Arbeit eines Polizeiseelsorgers aus?
Bredt-Dehnen: Die Polizei kommt heutzutage viel öfter als früher in gesellschaftlichen Konflikten zum Einsatz. Das belastet auch die Polizistinnen und Polizisten. Deshalb ist es wichtig, nach einem Einsatz belastende Situationen ansprechen zu können. Da geht es um Gewalterfahrungen, mögliche Gedanken an einen Suizid oder auch Trauerbegleitung, wenn ein Polizeibeamter plötzlich stirbt. Das Reden darüber ist das Entscheidende. Vieles wurde früher in der Polizei mit sich selbst ausgemacht – das war letztlich auch das Bild des Helfers, der sich nicht helfen lässt oder helfen lassen will. Hier setzt unsere Arbeit an. Gerade einer, der helfen möchte, der darf auch selbst unterstützt werden. Das ist kein Zeichen der Schwäche, sondern ein Zeichen der Stärke.
Was hilft Polizistinnen und Polizisten in psychisch belastenden Situationen?
Bredt-Dehnen: Für die Polizisten und Polizistinnen ist es entscheidend, dass sie weiterhin einen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Und sie brauchen das Gefühl: Mein Dienstherr schützt mich in meinem Umfeld. Dazu gehören natürlich auch die technische Ausrüstung, ausreichend Personal und eine gute Ausbildung. Auf der anderen Seite aber muss jeder Beamte und jede Beamtin lernen, auch auf die seelische Eigensicherung zu achten. Dinge, die man erlebt hat und die einen belasten, dürfen nicht mit nach Hause genommen und in die Familie getragen werden. Da ist das Einüben von zeitnaher Entlastung sehr wichtig.
Wie schätzen Sie die Akzeptanz für Ihr Angebot seitens der Beamtinnen und Beamten ein?
Bredt-Dehnen: Die Akzeptanz für unsere Arbeit ist unglaublich gewachsen. Das hängt auch mit den Erfahrungen etwa nach der Love-Parade oder bei der Bekämpfung von Kinderpornografie zusammen. Das hat vor allem die Führungsebene der Polizei mittlerweile gut verstanden, auch wenn es manchmal etwas dauert, bis in einer großen Organisation alles an der Basis angekommen ist. Da sind wir auf einem guten Wege. Aber natürlich gibt es immer noch Leute, die sagen: „Nee, das mache ich nicht, und mit einem Pfarrer rede ich schon gar nicht!“ Diese Einstellung müssen wir akzeptieren, keiner muss mit uns reden. Positiv ist auf jeden Fall, dass wir mittlerweile in viele Entwicklungen im Bereich der psychosozialen Unterstützung der Polizei eingebunden sind. Da sind die Hürden nicht mehr so hoch, um unsere Arbeit in Anspruch zu nehmen.
Wie sieht das Fazit Ihrer Arbeit nach 13 Jahren als Seelsorger für Polizeikräfte in NRW aus?
Bredt-Dehnen: Die Arbeit als Polizeiseelsorger war ganz wunderbar – trotz aller belastenden Erfahrungen. Ich konnte viele wunderbare Menschen kennenlernen, die sehr verantwortungsbewusst ihre Aufgaben wahrnehmen. Ich habe meine Arbeit immer als eine Unterstützung für unsere Demokratie verstanden, als Unterstützung für eine Polizei, die sich ihrer Aufgabe, ihren Rechten und Pflichten für unsere demokratische Gesellschaft bewusst ist. Gerade in Krisenzeiten wie diesen ist das extrem wichtig.