„Menschen sind mir ans Herz gewachsen“

Barbara Rudolph ist seit 2009 hauptamtliches Mitglied der Kirchenleitung und Leiterin der Abteilung Theologie und Ökumene. Mit Ablauf des Augusts geht sie in den Ruhestand und übergibt die Amtsgeschäfte an ihre Nachfolgerin Dr. Wibke Janssen. Ein Rückblick und Ausblick in drei Fragen und drei Antworten.

 

Frau Rudolph, Sie waren von 1986 bis 2001 Gemeindepfarrerin, dann Geschäftsführerin der Ökumenischen Centrale der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland und schließlich als zuständiges Kirchenleitungsmitglied und Abteilungsleiterin auf nahezu allen ökumenischen Weltmeeren unterwegs. Was ist nach so vielen Jahren im Dienst der Kirche Ihr Resümee?

Barbara Rudolph: Im Grunde meines Herzens bin ich immer Gemeindepfarrerin geblieben. Auch als Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und als Mitglied der Kirchenleitung lag es mir am Herzen, die Gemeinden vor Ort, die Menschen in ihrem Alltag zu erreichen: So sind mir die Bergarbeiterfamilien in Moers-Meerbeck ans Herz gewachsen, gerade in der Zeit, als die Zechen geschlossen wurden. Aber auch die vom Völkermord zerrissenen Gemeinden in Ruanda, die volle Kirche bei der Huria Kristen Batak Protestan (HKPB) in Nord-Sumatra, die äthiopisch-orthodoxe Kirche in Köln mit ihren vielen Flüchtlingen, die Gefängnis-Gemeinde in Wuppertal, die Studierendengemeinde in Aachen, die ukrainische Gemeinde in Beregszász oder die deutschsprachige Gemeinde in Rumänien: Es kommt darauf an, Menschen in ihrem Leben zu begleiten, zu unterstützen und zum Glauben und Handeln zu befähigen. So Gemeinde für mich zu erleben, war auch für meinen Glauben entscheidend.

Ökumene ist bunt: Da gibt es nicht nur das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche, sondern auch das Miteinander mit den Orthodoxen oder den verschiedenen protestantischen Kirchen weltweit. Was ist in diesem bunten Gemisch die größte Herausforderung?

Rudolph: Als ich 1983 mein Vikariat antrat und zu arbeiten begann, fand gerade die 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver statt. Dort wurde der „Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ beschlossen. Nun, in meinem letzten Dienstjahr wird die 11. Vollversammlung des ÖRK bei uns vor der Haustür in Karlsruhe abgehalten (31.8.–8.9.22). Mit Händen ist zu greifen, dass der Auftrag, den sich die Christenheit weltweit vor fast 40 Jahren gegeben hat, mehr als aktuell ist. Dabei müssen wir die These: „Lehre trennt – Dienst eint“ der frühen ökumenischen Bewegung heute differenzierter sehen: Auch im Dienst an der Welt ringen die Kirchen um Einheit, sei es bei der Frage der Lebensformen und Sexualität, der Beurteilung der Krisenherde in dieser Welt (wie im Nahen Osten, in den zentralafrikanischen Staaten oder in der Ukraine) und den weltweit ungleichen Folgen des Klimawandels. Die starken Kräfte des Glaubens an Jesus Christus, der den Tod überwunden hat, füreinander und für diese Welt einzusetzen, ist unsere größte Herausforderung. Trotz aller Rückschläge habe ich wunderbare Erfahrungen gemacht, wie dieser gemeinsame Glaube Menschen und die Welt verändert, z. B. im konfessionellen Austausch mit den Katholiken über den synodalen Weg oder der gelingenden Internationalisierung der Vereinten Evangelischen Mission.

Mit dem Ruhestand sind Sie frei vom Müssen des kirchlichen Dienstes. Da es also nur noch ums Dürfen geht: Werden Sie weiter im Auftrag des Herrn unterwegs sein? Vielleicht verbunden mit Ihrer Leidenschaft, dem Fahrradfahren?

Rudolph: Ja, tatsächlich habe ich mir gerade ein neues Fahrrad gekauft, da ich mein geliebtes altes Touren-(Herren-) Rad mit meiner angeschlagenen Hüfte nicht mehr gut besteigen kann. Aber wer weiß, was alles noch möglich sein wird nach der nun für den Herbst geplanten Hüftoperation. Wer am linken Niederrhein geboren wurde, verliert in der Regel die Leidenschaft fürs Fahrrad sein Leben lang nicht. Und diese Form der entschleunigten Fortbewegung ist für den Ruhestand genau richtig. Ich habe es an meinen Vorgängern sehr geschätzt, dass sie mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben, wenn ich sie gefragt habe, mir aber meinen Freiraum gelassen haben. So will ich es ebenso halten. Zwei Aufgaben werde ich in Absprache mit der Evangelischen Kirche in Deutschland noch weiterführen: Die Amtsperiode im Rat der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), die im Jahr 2024 mit der Vollversammlung in Sibiu, Rumänien, endet und die Vorstandsarbeit in der Evangelischen Partnerhilfe, die Gehaltsspenden an Pfarrer/innen in Mittel- und Osteuropa vermittelt. Ansonsten werde ich erst einmal innerlich und äußerlich Abschied nehmen, Luft holen und mir Zeit nehmen, Neues zu entdecken. Bei der Liturgie zur Entpflichtung heißt es: „Du bleibst berufen zu predigen…, wo immer dein Dienst gefordert ist. Du bist aber nun frei von den dienstlichen Pflichten.“ Das finde ich eine wunderbare Perspektive.

  • 16.8.2022
  • Jens Peter Iven
  • Uwe Schinkel