Präses Latzel: Betroffenen der Flutkatastrophe zuhören

Der rheinische Präses Thorsten Latzel plädiert dafür, sich mit dem Leben nach der Flutkatastrophe vor einem Jahr zu beschäftigen. „Die Flut vor einem Jahr hatte keinen Sinn. Sie hat wahllos Menschen getötet, Leben zerstört, Häuser vernichtet“, sagte er laut Predigttext am Sonntag in einem Gedenkgottesdienst in der Dreieinigkeitskirche in Eschweiler. „Doch die Frage ist, was wir, was ich aus der Katastrophe mache, wie ich ihr Sinn verleihe.“

Die Flutkatastrophe im Juli 2021 kostete in Deutschland insgesamt mehr als 180 Menschen das Leben: 135 in Rheinland-Pfalz und 49 in Nordrhein-Westfalen. Mehr als 800 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Ganze Orte wurden zerstört, Häuser, Betriebe, Infrastruktur und öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser oder Kultureinrichtungen beschädigt. „Es ist schwierig zu beschreiben, wie es ein Jahr danach aussieht“, erklärte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland während des Gottesdienst, der hier nachgehört werden kann. In Eschweiler, im Ahrtal, in Trier-Ehrang, Sinzig, Erftstadt-Blessem, Bad Münstereifel, Inden und Leverkusen-Opladen habe die Katastrophe einen eigenen Verlauf gehabt. „Es ist wichtig, hinzuhören, wie es Menschen damals ging und was sie seitdem erlebt haben“, sagte Latzel. „Auf ihre Geschichten voller Trümmer, Herz und Hoffnung.“

Seelsorgerinnen und Seelsorger berichten von gemischen Gefühlen

„Als Kirche und Gemeinden haben wir versucht, hier zu helfen“, betonte der rheinische Präses. „Wir haben im Herbst letzten Jahres Flutseelsorgerinnen entsandt: geschulte Menschen, die zuhören, seelsorglich beraten, diakonisch helfen.“ Diese Seelsorgerinnen und Seelsorger hätten berichtet, wie gemischt und unterschiedlich die Gefühle ein Jahr danach seien. „Die Flut reißt die einen Menschen plötzlich in den Tod, raubt anderen alles, was sie besitzen, und lässt die dritten völlig verschont“, erläuterte der Theologe. „Die eine hat ihr Haus wiederaufgebaut, der andere wartet noch immer auf Genehmigungen und Gelder.“ Viele hätten die Katastrophen gut überstanden, andere habe es zerbrochen. Risse seien in den Mauern, vielen Menschen und im Miteinander geblieben.

„Vielleicht täten uns besondere Maßnahmen gut“

Mit Blick auf die Bücher Esra und Nehemia in der Bibel und den damit verbundenen Wiederaufbau Jerusalems, plädierte Latzel dafür, die Risse nicht zu zementieren. „Vielleicht täten auch uns besondere Maßnahmen gut“, sagte er. Dazu könnte die unbürokratische Auszahlung von Hilfen zählen, aber auch einander Texte vorzulesen, aus denen man Hoffnung und Glaube schöpfe. Auch sei es möglich, ein „Fest zu feiern, indem wir uns immer wieder an den provisorischen, vergänglichen Charakter unseres Lebens erinnern“.

  • 11.7.2022
  • epd
  • Red