„Kirche auf dem Land ist ein echter Player“

DREI FRAGEN AN … Dr. Eva-Maria Gummelt, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie im Rheinland, zu Herausforderungen und Chancen von Kirche auf dem Land.

Frau Dr. Gummelt, Sie verantworten jetzt seit etwa einem halben Jahr den Studienbereich „Ländliche Räume“ an der Evangelischen Akademie im Rheinland. Welche Räume auf dem Gebiet der rheinischen Kirche haben Sie bisher kennengelernt und was haben Sie dort entdeckt?
Eva-Maria Gummelt: Ich war zwar noch nicht in jeder Ecke der rheinischen Kirche, habe aber schon einige Regionen exemplarisch kennengelernt. So war ich auf einem Demeter-Hof in Wittlich, in Kleve zur Eröffnung einer Öko-Modellregion, habe im Saarland ein Biosphärenreservat besucht, war auf der Apfelroute in der Voreifel unterwegs sowie im Oberbergischen und in der Nähe von Koblenz. Dabei habe ich Menschen getroffen, die sich sehr für ihre Region einsetzen. Unterwegs war und bin ich mit der Bahn und habe so bereits am eigenen Leib erfahren, was eine begrenzte Infrastruktur auf dem Land bedeutet: Für die letzten Kilometer zum Ziel war mein E-Bike meist mit dabei.

Damit sind wir beim Thema Herausforderungen. Mit welchen Entwicklungen hat Kirche auf dem Land gerade am meisten zu kämpfen?
Gummelt: Eine der größten Herausforderungen für Kirchengemeinden auf dem Land ist, dass sie immer weniger Mitglieder haben. Und damit auch weniger Menschen, die mitarbeiten. Auf dem Land ist die Gemeindearbeit zudem sehr stark vom Ehrenamt abhängig. Und so lastet vieles auf den Schultern von wenigen. Der Mitgliederschwund wirkt sich aber auch finanziell aus, zum Beispiel auf den Erhalt von Gebäuden und besonders mit Blick auf Energie und Heizen. Ein weiteres Problem ist der geringer werdende theologische Nachwuchs. Das sind alles Tendenzen, die jetzt noch nicht so akut sind, aber die Anfänge zeichnen sich ab. Ich denke, dass es gut ist, wenn Kirchengemeinden jetzt grundsätzlich überlegen: Was wollen wir als Kirche auf dem Land? Was wollen wir bieten, was sind unsere Schwerpunkte? Mit welchen Partnern können wir uns zusammentun, zum Beispiel auch in der Ökumene?

Der Wandel bringt Veränderungen, die nicht alle schlecht sein müssen. Welche Chancen sehen Sie für die Kirche auf dem Land?
Gummelt: Es gibt auf dem Land häufig kein Überangebot wie in der Stadt. Die Kirche ist dort ein echter Player. Sie hat auch jenseits von Gottesdiensten und Gemeindegruppen etwas zu bieten: kulturelle Veranstaltungen, soziale Dienste und vieles mehr. Ohne die Kirchengemeinde gäbe es im Dorf vielleicht keine Konzerte, keinen Adventsmarkt und keinen Kindergarten. Was würde ohne uns alles wegbrechen? Diese Frage kann Kirchengemeinden helfen, sich darauf zu besinnen, welche Aufgaben sie im Dorf und im Landkreis wahrnehmen wollen. Und deutlich machen, warum sich der Einsatz für ihren Erhalt lohnt. Darüber hinaus kann Kirche auf dem Land auf die Identifikation und die Verbundenheit der Menschen mit ihrem Ort setzen.  Und es bestehen meist gute Netzwerke vor Ort: kurze Wege, bekannte Leute, man kann Dinge schneller und unbürokratischer angehen. Ich glaube auch, dass es an vielen Orten schon ganz tolle Ideen und Modelle gibt. Die müssen aber bekannt und für andere nutzbar gemacht werden. Deshalb möchte ich gern noch mehr Gemeinden kennenlernen und freue mich über Einladungen und Hinweise auf Veranstaltungen. Vernetzung – auch zu Personen und Institutionen außerhalb kirchlicher Kreise – sehe ich als wichtigen Teil meiner Arbeit an: Menschen zusammenzubringen und Wege zum Austausch zu finden.

  • 30.9.2022
  • Christina Schramm
  • Red