Hungrig nach Frieden

Sie treffen sich jeden Morgen digital zum Austausch: 20 Teilnehmende aus zwölf Ländern beraten noch bis zum 2. September in der Summer School der Vereinten Evangelischen Mission über Friedensbildung und den Schutz der Menschenrechte.

Auf dem Bildschirm herrscht schon Hochbetrieb. Immer mehr Zoom-Fenster öffnen sich am Montagmorgen und erlauben einen Blick nach Afrika und Asien, nach Wuppertal und Colombo (Sri Lanka). Vor den Webcams winken Männer und Frauen aus ganz verschiedenen Kulturen und Kirchen in die Kamera. Die wenigsten kennen sich schon, für die meisten ist es die erste Masche eines neuen Netzwerks, die hier geknüpft wird – über Landes- und Kontinentgrenzen hinweg. Zum vierten Mal hat die Vereinte Evangelische Mission (VEM) zur Summer School eingeladen, um sich mit Akteuren von Partnerorganisationen rund um die Welt über Friedensbildung und den Schutz der Menschenrechte auszutauschen. Zum zweiten Mal findet die englischsprachige Begegnung digital statt – um im Jahr der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Karlsruhe weitere lange Reisen zu vermeiden.

Sehnsucht nach Frieden und Einhaltung der Menschenrechte

„Wir wollen in diesen beiden Wochen vor allem miteinander ins Gespräch kommen“, sagt Pfarrer Lusungu Mbilinyi, der das Programm von Seiten der VEM mitverantwortet. Deswegen bietet die Summer School neben Impulsen vor allem Raum für das Gespräch. „Es soll uns nicht gehen, wie bei der Ankunft der Missionare in Afrika: Es wurden viele Fragen beantwortet, die gar nicht gestellt worden waren“, sagt Mbilinyi. Stattdessen sind die Teilnehmenden der Summer School selber gefragt, aus ihrem Alltag und ihrer Wirklichkeit zu erzählen. Die einen Arbeiten bei „Brot für die Welt“, die anderen bei Menschenrechtsorganisationen, die einen kommen als Vertreterinnen und Vertreter von Kirchen, die anderen von Hilfswerken. Sie alle haben eines gemeinsam: „So wie sich ein Reh in der Wüste nach Wasser sehnt, so sehnen wir uns nach der Möglichkeit, Frieden zu schaffen und für die Menschenrechte zu kämpfen“, sagt Pfarrer Mbilinyi.

Tiefer Einblick in Seele der Menschen und Völker

In der Summer School treffen dabei ganz unterschiedliche Perspektiven aufeinander, das spüren die Teilnehmenden schon bei der digitalen Eröffnungsveranstaltung. Zum Kennenlernen bittet Lusungu Mbilinyi die Männer und Frauen darum, einen Gegenstand von ihrem Schreibtisch in die Kamera zu halten, den sie mit Frieden verbinden. Es ist ein tiefer Einblick in die Seele der Menschen und Völker, der sich hier offenbart: Wasserflaschen werden in die Kamera gehalten und Abbildungen von Tauben mit Zweigen im Schnabel, religiöse Bilder und ganz handfeste Dinge des Alltags.

Die offenen Wunden eines Genozids

Zwei Wochen lang geht es genau um diesen Austausch der Perspektiven. Die Teilnehmenden erzählen von Konfliktsituationen. „Und mit jedem Tag öffnen sie sich ein bisschen mehr“, sagt Lusungu Mbilinyi aus der Erfahrung der vergangenen Jahre. Dann berichtet eine Teilnehmerin von der schweren Situation in ihrem Land, in dem die Wunden eines Genozids längst nicht verheilt sind, die Täter nun aber in den Regierungsreihen sitzen. Und ein anderer nickt wissend, weil er auch in seinem Land erlebt hat, wie nach Gewalt und Tod neue Wege zueinander gefunden werden mussten. „Dann werden Erfahrungen ausgetauscht, die Menschen erzählen von ihrem Umgang mit diesen Situationen und werden einander zur Stütze“, erlebt Lusungu Mbilinyi.

„Ziel ist es, Handlungsperspektiven zu eröffnen“

Mal in kleinen Gruppen, dann wieder im Plenum, mal mit Fachleuten aus der ganzen Welt, dann im kleinen Kreis der Teilnehmenden: Während der Summer School kommen Möglichkeiten der Mediation zur Sprache und Ideen zur Prävention. „Ziel ist es, Handlungsperspektiven für Menschen aus unterschiedlichen Konflikt- und Unrechtssituationen weltweit zu eröffnen“, sagt Dr. Jochen Motte, Mitglied im Vorstand der VEM und verantwortlich für die Programmbereiche Frieden und Menschenrechte.

Grenzen der Friedens- und Menschenrechtsarbeit im Blick

Während der Summer School geht es auch um die Grenzen, an die die Akteure in der Friedens- und Menschenrechtsarbeit in der ganzen Welt stoßen: „Wir nehmen auch die ambivalente Rolle der Religion bei der Friedensarbeit in den Blick“, sagt Lusungu Mbilinyi. Und die Teilnehmenden sprechen über Kompromisse: Es gebe Situationen, in denen man einen Schritt nachgeben müsse, um Frieden zu erreichen. „Viele von uns kennen dieses Spannungsfeld“, sagt der Pfarrer aus Tansania. Die Summer School will ein Gerüst bauen, um diese Themen frei besprechen zu können. „Wir haben keine Lösungen parat“, sagt Mbilinyi, „aber wir glauben daran, dass das Gespräch hilft.“

Keine Teilnehmenden aus Europa

Meistens bricht dieses Gespräch mit dem Ende der Summer School nicht ab: Die Netzwerke, die die Teilnehmenden hier geknüpft haben, bleiben bestehen. „Umso bedauerlicher, dass dieses Jahr kein einziger Teilnehmender aus Europa dabei ist“, stellt Lusungu Mbilinyi fest. Akteure in Deutschland und den Nachbarländern würden Themen wie „Menschrechte und Friedensbildung“ eher für ein Thema der Menschen in Asien und Afrika halten. Lusungu Mbilinyi betont aber: „Auch hier in Europa gibt es Baustellen.“

Info: Die Summer School der VEM

Die Summer School der VEM wird in Kooperation mit dem Weltrat der Kirchen, Miserior, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, Brot für die Welt, der Evangelischen Mission Weltweit, der Evangelischen Landeskirchen im Rheinland, in Westfalen und Kurhessen-Waldeck durchgeführt.

  • 26.8.2022
  • Theresa Demski
  • Vereinte Evangelische Mission