Treibhausgasneutralität und Gebäudebestand: „Es handelt sich immer um sehr emotionale Prozesse“

Landeskirchenbaudirektorin Gudrun Gotthardt spricht im Interview über das von der Landessynode 2022 beschlossene Ziel der Treibhausgasneutralität, die notwendige Reduzierung des Gebäudebestands und die Unterstützung der Gemeinden auf diesem Weg.


Frau Gotthardt, 2035 will die rheinische Kirche treibhausgasneutral sein. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei den gut 5500 Gebäuden zu. Ist das bei diesem gewaltigen Bestand überhaupt zu schaffen?
Gudrun Gotthardt
: Das ist ohne Zweifel eine ganz große Herausforderung für unsere Kirchengemeinden. Wir wissen aus den Fällen der Vergangenheit, in denen der Gebäudebestand schon ohne die Überschrift des Klimaschutzes reduziert wurde, dass es sich dabei immer um sehr emotionale Prozesse handelt, denn die Menschen hängen gerade an den Gebäuden mit hohem Symbolwert wie den Kirchen und Gemeindehäusern. Daher haben wir uns für diesen Prozess im Synodenbeschluss Anfang dieses Jahres ja auch fünf Jahre Zeit gegeben. Bis 2027 sollen die Gemeinden eine Entscheidung getroffen haben, welche Gebäude bleiben.

Nach welchen Kriterien sollte diese Entscheidung getroffen werden?
Gotthardt:
Mit externer Unterstützung entwickeln wir gerade ein Werkzeug, das verschiedene Aspekte beleuchtet: natürlich die Finanzen, aber auch Funktionalität und Zustand der Gebäude sowie den Aufwand, mit dem die verbleibenden Gebäude treibhausgasneutral ertüchtigt werden können. Uns geht es zunächst darum, alle diese Daten und Fakten auf den Tisch der Presbyterien zu bringen, sodass diese überhaupt in die Lage versetzt werden, verantwortungsvolle Entscheidungen treffen zu können. Die Abwägung der verschiedenen Aspekte bleibt trotzdem keine leichte Aufgabe.

So zynisch es klingt: Könnten die wegen des Ukrainekriegs explodierenden Energiepreise den Prozess beschleunigen?
Gotthardt:
Das glaube ich ganz sicher. Die Notwendigkeit, Gebäude zu reduzieren, ist aufgrund der Mitglieder- und Kirchensteuerentwicklung schon seit Jahren bekannt. Der Klimaschutzbeschluss hat dem Ganzen einen weiteren Schub gegeben. Und die derzeitige Krise wird das Thema noch einmal befördern. Ich hoffe, dass der Druck in den Gemeinden nicht zu Resignation und Entscheidungsvermeidung führt.  Entscheidend ist vielmehr, sie motiviert mitzunehmen und gemeinsam am Ziel der Treibhausgasneutralität zu arbeiten.

Welche Finanzierungsmöglichkeiten für die Phase der Umsetzung gibt es?
Gotthardt:
Fördertöpfe gibt es auf jeden Fall, die auch den Gemeinden offenstehen. Gerade in den Förderprogrammen des Bundes ist im Augenblick sehr viel Bewegung mit neuer Schwerpunktsetzung, um von den fossilen Brennstoffen wegzukommen. Ob es innerhalb der Landeskirche neben dem Finanzausgleich eine weitere solidarische Finanzierung geben wird, ist noch nicht entschieden.

Auf jeden Fall soll der Grundsatzbeschluss von 2022 auf der Landessynode im kommenden Januar mit Blick auf die Umsetzung konkretisiert werden. Was könnte das aus Ihrer Sicht bedeuten?
Gotthardt:
Das Werkzeug, das wir mit dem externen Büro entwickeln, ist schon so weit gediehen, das wir es bereits in zwei Pilotkirchenkreisen erproben: dem Kirchenkreis Köln-Nord, der sich mit dem Büro schon vor dem Synodenbeschluss auf den Weg gemacht und seinen Gebäudebestand bereits in funktionaler und finanzieller Hinsicht hat bewerten lassen, sowie dem Kirchenkreis Jülich. Von diesen Pilotprojekten erhoffen wir uns auch Ergebnisse darüber, welchen Unterstützungsbedarf es gibt, damit nicht nur eine Datensammlung auf dem Tisch liegt, sondern auch die nächsten Schritte der Umsetzung angegangen werden. Sicher müssen da in den nächsten Jahren auch Moderation und Begleitung organisiert werden.

Über welchen Reduktionsbedarf reden wir eigentlich?
Gotthardt:
Die badische Landeskirche, die uns in dem Prozess deutlich voraus ist, geht von einer Reduzierung des Gebäudebestands auf ein Drittel aus, also nicht um ein Drittel. Es ist schwer zu sagen, ob dies auch die Größenordnung im Rheinland sein wird.

Der Kirchbautag im September hat sich gerade mit den gebäudebezogenen Perspektiven einer schrumpfenden Kirche befasst. Welche Wege sehen Sie, damit eine Reduktion nicht nur als Verlust empfunden wird?
Gotthardt
: Mit dem Motto „Mut baut Zukunft“ ist das genau die Botschaft des Kirchbautags gewesen. Wir versuchen in diesen Prozessen immer zu vermitteln, dass die Reduktion kein Qualitätsverlust sein muss. Was an Räumlichkeiten bleibt, sollte auf die aktuellen Gemeindebedürfnisse zugeschnitten, freundlich und einladend sein. Die Beispiele in Köln und der Region haben gezeigt, dass das geht, und sie ermutigen hoffentlich viele andere Gemeinden.

 

Dieses Interview ist der Oktoberausgabe des Magazins EKiR.info für die Presbyterinnen und Presbyter der rheinischen Kirche entnommen. Die komplette Ausgabe findet sich zum Download hier.

  • 12.10.2022
  • Ekkehard Rüger
  • Michel Schier